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Vom Getreidekorn zur Elektronik

Die Entwicklung der Wägetechnik

Gewichte und Waagen spielten und spielen in der Entwicklung der Menschheit eine besondere Rolle. Ohne sie gäbe es keinen florierenden Warenhandel, da die bestimmende Grundlage – das Gewicht eines Gutes – dafür fehlen würde. Einen ausgezeichneten Einblick in Vergangenheit und Gegenwart dieser wichtigen Errungenschaften bietet das Waagenmuseum in Balingen.


Eine funktionierende Tauschwirtschaft ist die Grundvoraussetzung, damit ein hoch entwickeltes Staatswesen entstehen kann. Der Weg dorthin führte über zuverlässige, einfach zu bedienende Waagen und exakt festgelegte Gewichte. Diese schufen die Grundlage, um Waren aller Art untereinander zu tauschen oder gegen Geld zu handeln.

Wer sich diesbezüglich einen tiefen Einblick verschaffen möchte, ist im Zollernschloss Balingen richtig. Dort ist das Waagenmuseum untergebracht, das umfassend über die Geschichte der Wägetechnik informiert. Die Grundlage der hochwertigen Sammlung bildet die Waagensammlung des Unternehmens Bizerba, die 1943 dessen Besitzer, Prof. Kraut, der Stadt Balingen als Dauerleihgabe vermachte.

Noch heute ist das Familienunternehmen neben der Firma Kern & Sohn in Balingen im Waagenbau tätig. Ausgestattet mit moderner Audiotechnik informiert das Museum des im 14. Jahrhundert erbauten Schlosses interessierte Besucher umfassend über die Welt des Wägens. Nahezu alle dort ausgestellten Exponate sind Originale und laden zum näheren Betrachten ein. Vielfach kommt der Betrachter ins Staunen ob der Raffinesse, die sich Menschen vor langer Zeit haben einfallen lassen, um das Gewicht von Obst, Gemüse oder Getreide zu bestimmen.

Am Anfang war Korn

Anfangs wurden in der Natur vorkommende, stets annähernd gleich schwere Früchte als Referenz genutzt, um Waren zu wiegen. Dazu zählten Erbsen, Getreidekörner und die Samen des Johannisbrotbaumes. Letzteres Gewicht wird übrigens bis heute zum Wiegen von Edelsteinen verwendet, da ein Kern des Johannisbrotbaums ziemlich genau 0,2 Gramm Gewicht hat, was einem Karat entspricht. Die Bezeichnung Karat entstand in Abwandlung des Fruchtfleischnamens ›Carob‹, das sich wiederum aus dem arabischen Wort ›Charrüb‹ ableitet. Daraus wurde das uns bekannte Wort Karat, das sich bis heute im Edelsteinhandel behauptet hat.

Die Entwicklung von Gewichten und die Technik des Waagenbaus vollzog sich in engen, gemeinsamen Schritten, da beide Dinge schlicht zusammengehören und das eine ohne das andere wertlos ist. Überraschenderweise ist nicht geklärt, wo die Quelle der ersten Waagen zu suchen ist, doch geht man davon aus, dass diese wohl im alten Ägypten erfunden wurden. Die damalige Hochkultur trieb mit vielen Völkern Handel, wozu auch eine entsprechende Wägetechnik nötig war. Entsprechende Wandmalereien in ägyptischen Tempelanlagen bestätigen die These.

Diese Malereien zeigen gleicharmige Balkenwaagen, die wohl vor über 5000 Jahren erstmals zum Einsatz kamen und für rund 3000 Jahre den Status quo der Wägetechnik darstellten. Als Gewichtsstücke kamen wohl hauptsächlich Steine zum Einsatz, die vorher mit einer entsprechenden Menge Getreide „geeicht“ wurden, bis die Waage im Gleichgewicht war. Unterschiedlich schwere Steine repräsentierten fortan eine ganz bestimmte Menge Getreide, die nun zu jedermanns Zufriedenheit exakt abgemessen werden konnten.

Um das Jahr 100 vor Christus kam ein römischer Tüftler auf die Idee, eine Waage zu bauen, die nur mehr eine Schale besaß. Da an einem Balken der Römischen Schnellwaage ein verschiebbares Gewicht vorhanden war, konnte der andere Balken massiv gekürzt werden, da nun das Hebelgesetz in raffinierter Weise genutzt wurde: Je weiter außen das Gewicht positioniert wurde, desto mehr Gewicht konnte auf die Schale gelegt werden, ehe das Gleichgewicht erreicht war.

So eine Waage ist in Balingen als Original zu bestaunen. Ihr hervorragender Erhaltungszustand lässt nicht erahnen, dass diese Waage bereits über 2000 Jahre alt ist. Ein längeres Verweilen lohnt, da die handwerkliche Machart dieses edlen Stücks große Bewunderung hervorruft.

Überhaupt sollte man viel Zeit mitbringen, da das Museum über viele sehenswerte Stücke rund um Waagen und Gewichte verfügt, die es anderswo nur schwer zu sehen gibt. Darunter ist beispielsweise die Neigungswaage von Philipp Matthäus Hahn. Dieses Genie, das übrigens auch Taschenuhren und mechanische Rechenmaschinen baute, hat es um 1790 mit seiner Neigungswaage fertiggebracht, dass das Gewicht eines Gutes auf bequeme Weise direkt auf einer Skala abgelesen werden konnte.

Ob er dabei auf die Ideen von Leonardo da Vinci beziehungsweise Johann Heinrich Lambert zurückgriff, konnte bisher nicht geklärt werden. Jedenfalls kann ihm der Verdienst zugeschrieben werden, das theoretisch bekannte Prinzip in ein funktionierendes Instrument umgesetzt zu haben, das in der Lage war, Gewichte von einem Kaffeelöffel Zucker bis zu einem Sack Äpfel direkt zu bestimmen.

Der äußerst kreative Pfarrer und Erfinder hat bereits vor diesem Clou in Sachen Gewichtsmessung einen Meilenstein gesetzt: Die 1774 gebaute hydrostatische Waage, mit der es möglich wurde, Gewichte mit einer Auflösung von zwei Milligramm zu bestimmen. Diese Genauigkeit konnte erst ab 1920 übertroffen werden, nachdem Analysewaagen erfunden wurden, die 0,1 Milligramm messen konnten. Selbstverständlich ist die Hahnsche Präzisionswaage als Nachbau in einer eigenen Abteilung des Museums ebenso zu bewundern, wie die Nachfolger, die mit noch höherer Genauigkeit aufwarten.

Auffällig ist deren filigraner Aufbau: Da werden mit Lupen feinste Skalen vergrößert, hauchdünne Drahtringe als Gewichte verwendet und eigene Mimiken zu deren Platzierung auf dem Balken verwendet. Doch hat die Mechanik im Waagenbau mittlerweile eine wieder zurückgehende Bedeutung erfahren. Die Elektronik hat nicht nur mechanische Rechen- und Schreibmaschinen zurückgedrängt, sondern auch den Waagenbau revolutioniert.

Technische Umwälzung

War dereinst die Federwaage sehr gefragt, so ist es jetzt der nach dem gleichen Prinzip funktionierende Dehnmessstreifen, der den Waagenbau revolutioniert hat. Doch der Transformationsprozess vollzog sich nicht von heute auf morgen. Im Museum ist anhand interessanter Modelle zu sehen, dass die mechanischen Waagen zunächst mit elektrischen und optischen Komponenten versehen wurden. Schon Mitte der 1920er-Jahre entwickelte Bizerba eine mechanische Neigungswaage mit elektrischem Bondrucker. Damit konnte dem Kunden ein maschinell erstellter Beleg ausgehändigt werden, was die gekaufte Ware wog.

Anfang der 1950er-Jahre wurden raffinierte Optiken in Waagen eingebaut, die es ermöglichten, neben dem Gewicht auch gleich den Preis der Ware anzuzeigen. Rechenfehler waren damit ausgeschlossen und die Bedienung der Kunden konnte wesentlich schneller ablaufen. Selbstverständlich ist eine solche Waage mit geöffnetem Gehäuse ausgestellt. Ein Blick auf die Technik verdeutlicht, dass die Konstrukteure gewitzte Lösungen finden mussten, um Waagen mit derartigem Komfort zu verwirklichen.

1965 hielt die Nixie-Röhre in die Waage Einzug. Nun konnte das Gewicht des Gutes direkt als Ziffernwert abgelesen und mithilfe eines Druckers ausgedruckt werden. Die Waagen wurden immer leistungsfähiger und ihr Aufbau immer kleiner, was den zunehmend eingesetzten elektronischen Bauteilen geschuldet ist. Mittlerweile sind Waagen sogar vernetzbar und an einen Zentralrechner anschließbar. Dadurch kann direkt überwacht werden, wie hoch der Umsatz zu einem bestimmten Zeitpunkt ist und sogar eine automatische Bestellung ausgelöst werden, wenn ein nachgefragter Artikel auszugehen droht.

Interessante Einblicke

Wie das Elektronikzeitalter Waagen veränderte, kann im Museum umfassend ergründet werden. Offene Modelle zeigen den Aufbau und an der Wand angebrachte Bauteile zeigen, welche Komponenten am Wägevorgang beteiligt sind. Absolut faszinierend ist der Dehnungsmessstreifen, der, ähnlich einer Feder, in die Länge gezogen werden kann und dabei seinen elektrischen Widerstand verändert. Diese Widerstandsänderung kann gemessen und in eine Gewichtskraft umgerechnet werden. Mit dieser Technik sind kompakt bauenden Waagen mit hoher Wiegegenauigkeiten herstellbar, zudem reduziert sich der Einsatz mechanischer Bauteile auf ein absolutes Minimum.

Ein großer Vorteil dieser Technik ist die Möglichkeit, Waagen an jedem Ort der Welt rasch eichen zu können. Dazu werden lediglich Parameterwerte im Speicher aktualisiert, um die Erdanziehungskraft an diesem Ort zu berücksichtigen. Wie sich zeigt, kann das Waagenmuseum Balingen mit einer überwältigenden Fülle an Informationen rund um die Wägetechnik aufwarten. Insbesondere Jugendliche und Schüler sollten es sich nicht nehmen lassen, in einer eigens eingerichteten Abteilung einmal selbst eine Waage zusammenzubauen, um die faszinierende Welt der Waagen und Gewichte zu ergründen. Die Sicht auf die Wägetechnik wird sich danach garantiert erweitert haben.

Womöglich verspürt der eine oder andere danach den Wunsch, dereinst selbst an der Weiterentwicklung dieser Technik mitzuarbeiten. Jedenfalls hat die Waage eine große Zukunft und deren Entwicklung ist noch lange nicht am Ende angelangt. Im Waagenmuseum werden dereinst sicher die dann alten Meilensteine zu sehen sein, die findige Köpfe noch austüfteln werden.

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Diesen Artikel finden Sie auch in Ausgabe 1/2019 unseres Fachmagazins ›Welt der Fertigung‹ auf Seite 32. Zum besagten Heft führt ein Klick auf den nachfolgenden Button!

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Mehr Informationen:

Kontakt  Herstellerinfo 
Waagenmuseum Balingen
Zollernschloss - Schlossstr. 6
72336 Balingen
www.waagenmuseum-balingen.de
Öffnungszeiten:
Mittwoch, Freitag, Sonntag und jeden 1.Samstag im Monat
14.00 - 17.00 Uhr
Führungen nach Vereinbarung
Eintritt: frei

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